Hamburg zur Zeit der Reformation

  • Plan von Hamburg, kolorierter Kupferstich aus dem Städteatlas von Braun und Hogenberg, 1589. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 720-1/131-01 158_91_1)

Aufbruch und Boom

Nach dem in weiten Teilen ereignislosen und ruhigen 15. Jahrhundert, das in Hamburg mit einer wirtschaftlichen Stagnation verbunden war, setzte an der Wende zum 16.  Jahrhundert eine tiefgreifende Veränderung ein.

Ausgelöst wurde diese durch die Entdeckung Amerikas 1492: Die internationalen Schiffsverkehrswege verschoben sich nun in Richtung Atlantik und Mittelmeer. Hamburg konnte über die Elbe und die Nordsee Anschluss an die neuen Routen erlangen. Mit dem im Verlauf des 16. Jahrhunderts einsetzenden Machtverfall der Hanse gewann die Stadt gegenüber Lübeck zunehmend an Bedeutung. Durch den Ausbau seines binnenländisches Hinterlandes an der Elbe gelang es Hamburg, den Anschluss an den nunmehr europaweiten Handel zu erlangen. So erschloss sich die Stadt ganz neue Fahrtgebiete. Ihre Schiffe fuhren nunmehr direkt England, die Niederlande, Portugal und Spanien an und bereisten alle Häfen des Mittelmeeres. Die sich herausbildenden Gesellschaften der Flandern-, England-, Schonen-, und Bergen-Fahrer brachten großen Reichtum nach Hamburg. Zusammen mit dem Getreidehandel stand das Bier an erster Stelle im Export. Im Hinblick auf die Einfuhr von Hering und Schwefel erlangte die Islandfahrt zunehmend an Bedeutung. Die Walfängerei dehnte sich weiter aus, so dass Trankochereien auf dem vor der Stadt gelegenen Grasbrook  eingerichtet wurden. Einen besonderen Aufschwung brachte die Aufnahme der „merchant adventures“ im Jahre 1567 mit sich. Diese englischen Kaufleute waren aus Glaubensgründen vor dem spanischen Herzog von Alba geflohen und verlegten ihren Tuchstapel von Antwerpen umso lieber nach Hamburg, als die Stadt bereit war, ihnen besondere Privilegien einzuräumen. Wie ein Magnet zog Hamburg die Händler an. Geld strömte in die Stadt.  Von 1526 bis 1551 verdreifachte sich das Volumen des Staatshaushaltes in Einnahmen und Ausgaben. Die gestiegene Bedeutung als Kapital- und Handelsplatz wird durch die 1558 erfolgte Gründung der Hamburger Börse sichtbar.


Wachsende Stadt

Das Steintor in Hamburg im 16. Jh., Lithographie von Peter Suhr. (Quelle: Wikipedia)

Noch im 15. Jahrhundert war Hamburg eine mittelgroße Hansestadt.

Mit ungefähr 10.000 Einwohnern stand sie deutlich im Schatten von Lübeck, dem „Haupt der Hanse“, das mit etwa 25.000 Einwohnern mehr als doppelt so viele Einwohner hatte. Die Stadtbegrenzung war durch die Stadtmauer und Befestigungsanlagen mit Graben und Wall festgelegt. Außerhalb des Walles gab es keine Wohnhäuser. Hier befanden sich Gärten, Weiden und zum Teil noch Wald. Das bedeutet, dass von keinem Punkt der Stadt der Weg ins Grüne mehr als 400 Meter betrug. Neben dem wirtschaftlichen Aufschwung kam es im 16. Jahrhundert zu einem enormen Anstieg der Bevölkerung.  Insbesondere niederländische Glaubensflüchtlinge suchten und fanden in Hamburg eine neue Heimat. Zwischen 1500 und 1600 hatte sich die Einwohnerzahl Hamburgs nahezu verdreifacht. Um 1600 zählte man bereits um die 30.000 Bewohner. Die Zuwanderer brachten Geld und knüpften Geschäftsbeziehungen von Hamburg aus mit Partnern ihrer Heimatländer. Dies beschleunigte nochmals die wirtschaftliche Dynamik in der aufstrebenden Handelsstadt.

Da die eigentliche Stadtfläche nicht wuchs, führte die intensive Bautätigkeit zu einer Verdichtung der Bebauung: Die noch freistehenden Areale in der Stadt wurden nun flächendeckend überbaut. Besonders traf dies auf die Innenhöfe zu, die vorher noch teilweise landwirtschaftlich genutzt worden waren. Die Reihenbebauung entlang der Straßen wurde geschlossen. Bereits um 1500 rechnet man für Hamburg mit etwa 1.800 Wohnhäusern. Mit ungefähr 25 Wohneinheiten pro Hektar liegt das spätmittelalterliche Hamburg im Bereich heutiger Einfamilienhaussiedlungen mit verdichteter Bauweise. Diese Dichte nahm dann im 16. Jahrhundert weiter zu. Die Strukturveränderungen brachten eine Verschlechterung der Wohnverhältnisse für die ärmeren Bevölkerungsanteile mit sich.


„Hamburch ein vornẽliche Hanse Stat“ – historisches Stadtansicht Hamburgs aus der Vogelperspektive, kolorierter Kupferstich von Frans Hogenberg, 1572. (Quelle: Wikipedia)

Bürger und Nichtbürger

Von den Bewohnern der Stadt hatte nur ein geringer Teil das Bürgerrecht oder besaß über die bürgerlichen Kollegien oder gar den Rat politische Einwirkungsmöglichkeiten.

Trotzdem ging es der Bevölkerungsmehrheit gut: 60% gehörten zur Ober- und Mittelschicht. Zum Vergleich: In vielen süddeutschen Städten zählten mehr als 80 % der Bevölkerung zur Unterschicht.

Aber auch in Hamburg waren es immerhin noch 40 % der Stadtbewohner. Sie besaßen keinen eigenen Hausstand, manche konnten nicht einmal selbst für ihren Unterhalt aufkommen. Wer der Hamburger Bürgerschaft angehören wollte, musste einen Bürgereid schwören. Nur dann durfte der Betreffende ein städtisches Grundstück kaufen oder sich als Handwerksmeister niederlassen. Er verpflichtete sich zugleich auch zur Loyalität und Verteidigung der Stadt. Die Aufnahme in die Bürgerschaft kostete Geld. In Hamburg lebten viele Nichtbürger, die sich diese Ausgabe nicht leisten konnten. Rechtsprechung und Gesetzgebung lagen ebenso in der Hand des Rates wie die Verwaltung des Gemeinwesens. Zwei Bürgermeister standen einem Kollegium von etwa 20 Ratsherren vor, die zumeist der Kaufmannschaft angehörten. Der Rat wurde nicht von den Bürgern gewählt, sondern immer wieder durch Mitglieder der wohlhabenden Familien ergänzt. Die Ratsherren leiteten die verschiedenen Verwaltungsressorts: Kämmereiherren waren für die städtischen Finanzen zuständig, Weddeherren fungierten als eine Art Gewerbepolizei, Mühlenherren beaufsichtigten die stadteigenen Mahlanlagen. Verordnungen des Rates, die vereinzelt in Stadtrechtsammlungen zusammengefasst waren, wurden bei der sogenannten „Bursprake“ zweimal jährlich der versammelten Bürgerschaft öffentlich verlesen. Für Verhandlungen mit den Ratsherren wurden Bürgerausschüsse gebildet, die Verhandlungsergebnisse später in sogenannten „Rezessen“ niedergelegt.

Die politische Stellung Hamburgs war, bis zum Gottorfer Vergleich im Jahr 1768, nicht eindeutig geklärt. In den Augen des deutschen Kaiser war Hamburg offiziell seit 1510 reichsfreie Stadt, aus Sicht des dänischen Königs war sie dagegen immer noch schleswig-holsteinische, und damit dänische, Landstadt. Der hamburgische Rat nutzte dieses Machtvakuum für eine Schaukelpolitik, um sich selbst politische Freiheiten zu schaffen. Es ist kein Wunder, dass die Repräsentanten und die Bürger eines so ungeheuer erfolgreichen Gemeinwesens ein Selbstbewusstsein entwickelten, das Ihnen ermöglichte sich von den finanziellen, organisatorischen und geistigen Fesseln der spätmittelalterlichen Kirche zu befreien.


Text: Ralf Wiechmann

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