Der Hauptaltar aus der St. Petrikirche

Die Schicksalswege von Kunstwerken sind gelegentlich so wechselvoll, wie die von Menschen. Ein Beispiel dafür ist der Hauptaltar aus der Kirche St. Petri. Zu den gerne erzählten Anekdoten der Hamburger Kunstgeschichte gehört, wie dieser Altar aus seinen an verschiedenen Orten verstreuten und zur Unkenntlichkeit übermalten Einzelteilen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder zusammengefügt wurde.

Der im 14. Jahrhundert geschaffene Altar zeichnet sich als Flügelaltar durch vielfältige Wandlungsmöglichkeiten aus. Je nach der liturgischen Notwendigkeit des katholischen Ritus ließen sich die geschnitzten Figuren der Innenseiten oder die reich bemalten Flügel der Außenseiten sichtbar machen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde der Altar den neuen Erfordernissen des protestantischen Gottesdienstes angepasst. Zunächst verkaufte man die beiden silbernen Apostelfiguren von Petrus und Paulus und  entfernte wahrscheinlich auch ihre Reliquien aus dem Altar. Dann  ließ 1595 der damalige Hauptpastor Johann Schellhammer die Seitentafeln übermalen, die in 24 Einzelbildern die Schöpfungsgeschichte und Szenen aus der Heilsgeschichte zeigten, mit der Auferstehung Christi und der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten. Den Auftrag dafür erteilte er dem kurz zuvor aus Antwerpen zugewanderten Maler Gilles Coignet (1542–1599), der als lutherischer Glaubensflüchtling nach Hamburg gekommen war. Die Rückseiten der Tafeln bemalte Coignet mit einer Darstellung des Letzten Abendmahls. Der Mittelschrein des Altars, in dem sich ein Kruzifix auf dem Hügel von Golgatha befindet, wurde 1596 von dem Bildschnitzer Jost Rogge (gest. 1616) verändert. Möglicherweise befand sich an dieser Stelle zuvor eine Marienkrönung.

Als im 18. Jahrhundert ein neuer Altar für die St. Petrikirche gestiftet wurde, zelegte man den alten Altarschrein. Der Hauptschrein gelangte in die Stadtkirche St. Georg in Grabow, während die von Coignet übermalten Seitentafeln in Hamburg verblieben. Die Tafel mit der Ausgießung des Heiligen Geistes wurde an einem Pfeiler in der Petrikirche aufgehängt,  die Auferstehung Christi in die St. Jacobikirche gegeben.

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die mittelalterliche Kunst wieder eine höhere Wertschätzung erfuhr, erwarb der damalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, 1903 den Grabower Altar. Aufgrund älterer Beschreibungen des Altars machte er auch die beiden Seitentafeln unter ihren Übermalungen ausfindig. Die Übermalungen wurden entfernt. Der Altar konnte 1905 wieder zusammengesetzt werden. Heute nimmt er einen Ehrenplatz in der Hamburger Kunsthalle ein. An die protestantische Umgestaltung erinnert neben dem Kruzifix nur noch ein großer violetter Farbfleck auf der Darstellung von dem Bau der Arche Noah.


Text: Barbara Uppenkamp

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