Der Höllenstreit

„Niedergefahren zur Hölle“  oder  –  in der modernisierten Sprachfassung  –  „hinabgestiegen in das Reich des Todes“, heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis.

Christus in der Vorhölle, Gemälde von Domenico Beccafumi, Oel auf Holz, um 1530/35, Pinacoteca Nazionale di Siena. (Quelle: The Yorck Project, Zenodot Verlagsgesellschaft mbH, Wikipedia)Was es mit dieser Höllenfahrt genau auf sich hat, wird während der Reformationszeit in Hamburg zum Gegenstand eines Streits, der hohe Wogen schlägt. Ausgelöst hat ihn Johannes Aepinus, der seit 1532 als Superintendent amtiert und damit zugleich Lektor am Dom ist. Dort hält er scharfsinnige theologische Vorlesungen in geschliffenem Latein. Als er sich der Auslegung des 16. Psalms widmet, argumentiert Aepinus, dass Christus zur Zeit seines Aufenthalts in der Hölle noch nicht in den Stand der Erlösung getreten sei, sondern vielmehr mit seiner Erniedrigung für die Sünden der Menschen gebüßt habe, um für sie dadurch die Befreiung von den Höllenqualen zu erwirken. Das sehen viele seiner Kollegen anders, und so beginnt in Hamburg ein Theologen- und Pastorenstreit, der jede Form der christlichen Sanftmut vermissen lässt. Die gegenseitigen Vorwürfe sind so heftig, dass man sich sogar in Wittenberg über die Hamburger Vorgänge Sorgen macht.

Philipp Melanchthon, der die Wogen glätten soll, sieht sich im  Zwiespalt. Einerseits hält er große Stücke auf Aepinus, auf den er als Hamburger Superintendent keinesfalls verzichten will. Andererseits kann er dessen Auslegung der Höllenfahrt nicht viel abgewinnen. Er selbst ist nämlich der Auffassung, dass Christi Aufenthalt in der Hölle bereits Ausdruck seines Sieges gewesen sei. Also rät er in einem vom Rat angeforderten Gutachten sowohl Aepinus als auch dessen Gegnern um den  Jacobi-Pastor  Johannes Garcaeus zur Mäßigung. Man solle in dieser Frage, über die die Bibel keine klare Auskunft gibt, nicht unnötig streiten. Viel Erfolg hat er damit nicht. Beide Parteien bekämpfen sich weiter mit wüsten Polemiken von den Hamburger Kanzeln. Da der Rat mehrheitlich auf Seiten des Superintendenten steht, wird die Sache schließlich administrativ entschieden: Johannes Garcaeus und seine Parteigänger Tilemann Epping und Caspar Hackrath  werden am 26. April ihrer Ämter enthoben und müssen Hamburg verlassen, was ganz sicher nicht in Melanchthons Sinne ist. Luther selbst, der zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr lebt, hielt die Frage, die die Gemüter in Hamburg so erhitzt, übrigens  für nebensächlich. Darüber, soll er im Gespräch mit Melanchthon gesagt haben, müsse man nicht weiter nachgrübeln.


Text: Matthias Gretzschel

» Zurück zur Übersicht