Luther und der Schwan

Hauptkirche St. Petri vom Turm der St. Nikolaikirche aus gesehen. (Foto: J. A. Steiger)In der Hauptkirche St. Petri hängt ein Ölgemälde, das im Jahre 1603 von Jacob Jacobs (gest. 1618) geschaffen wurde. Das Bild zeigt Martin Luther mit einem Schwan. Der Reformator hält eine aufgeschlagene Bibel in der linken Hand und weist den Betrachter mit der rechten auf die Kernstelle Johannes 3,16: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Das Gemälde steht in einer Bildtradition, die vor allem im norddeutschen Raum weite Verbreitung fand – bis hin zu Schwänen als Wetterfahnen auf Kirchturmspitzen. Unter den überlieferten Luther-Schwan-Ölgemälden gilt das Hamburger Exemplar als das älteste. Das Bildmotiv führt den Betrachter zurück in die Reformationszeit und darüber hinaus in das Zeitalter der spätmittelalterlichen Kirchenreform.

Der Reformator selbst hatte die Anregung dazu gegeben, ihn im Medium Bild mit einem Schwan darzustellen. Denn Luther bezeichnete sich als Schwan, indem er Bezug nahm auf eine Prophezeiung, die der böhmische Reformator Jan Hus (ca. 1370–1415) zu Beginn seiner Gefangenschaft in Konstanz (Ende 1414) getätigt haben soll. 1531 schrieb Luther: „Sankt Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängnis in Böhmerland schrieb: ‚Sie werden jetzt eine Gans braten (denn Hus heißt eine Gans). Aber über [= nach] hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören. Den sollen sie leiden. Da soll’s auch bei bleiben, ob Gott will.‘“

Luther mit Schwan, Ölgemälde von Jacob Jacobs (1603). (Foto: J. A. Steiger)Wichtige Impulse für die Begründung und die Verbreitung der Luther-Schwan-Bildtradition hat gewiss das Luther-Gedenken gegeben, das sich rasch nach des Reformators Tod entwickelte. Der Hamburger Reformator Johannes Bugenhagen griff in der Predigt, die er in Wittenberg zum Begräbnis Luthers hielt, eben dieses Motiv auf. Bugenhagens Christliche Predigt über der Leiche und Begräbnis des ehrwürdigen Doktors Martin Luther wurde 1546 erstmals gedruckt und fand durch eine wahre Flut von Neuauflagen äußerst weite Verbreitung. Bugenhagens ‚Leichenpredigt‘ dürfte so entscheidend zur Entwicklung des Luther-Schwan-Bildtypus beigetragen haben.

Bugenhagen stellt Luther in eine Traditionslinie mit Johann Hus, indem er sagt: „Aber ach, wie laufe ich so weit mit meiner Rede in diesem unserem Weinen und Betrübnis. Dies sei genug von unserem billigen [= rechtmäßigen] Trauern geredet. Denn wir trauern je billig, dass ein solcher teurer Mann, rechter Bischof und Seelenhirte von uns geschieden. Aber in diesem Betrübnis sollen wir auch billig erkennen Gottes Güte und Barmherzigkeit gegen uns und Gott danken, dass er hundert Jahre nach dem Tod des heiligen Johannes Hus (welcher um der Wahrheit willen getötet worden ist im Jahre 1415) bald uns erweckt hat durch seinen Geist diesen teuren Doktor Martin Luther [...], wie denn Johannes Huss von einem künftigen Schwan selbst prophezeit hat vor seinem Tod. Denn Hus heißt auf Böhmisch eine Gans. Ihr bratet (sagte Hus) jetzt eine Gans. Gott wird aber einen Schwan erwecken, den werdet ihr nicht (ver)brennen noch braten. Und da sie gegen ihn viel schrien [...], soll er gesagt haben: Nach hundert Jahren will ich euch antworten. Das hat er redlich getan durch unseren lieben Vater Doktor Luther [...].“


Text: Johann Anselm Steiger

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