Kreuzigungsgruppe in St. Georg

Die Heilige Dreieinigkeitskirche in St. Georg wurde nach ihrer Zerstörung in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs zur Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wieder aufgebaut. Architektonisch stellt sie vielleicht kein besonderes Kleinod dar. Die sogenannte Kreuzigungsgruppe aber, deren Kopie für jeden sichtbar vor der Kirche steht, ist etwas ganz Außergewöhnliches. Nicht zuletzt, weil Bronzegüsse zur Zeit der Entstehung der Gruppe in Norddeutschland äußerst selten hergestellt wurden. Die Originale des Kunstwerks sind in der Turmkapelle der Kirche zu bewundern. Was stellen sie dar? Christus ist ans Kreuz genagelt. Sein Haupt neigt sich nach rechts. Unter dem Kreuz befinden sich die trauernde Maria und Johannes. Neben Christus stehen die Kreuze mit den beiden Schächtern, den „Verbrechern“, die mit ihm gekreuzigt wurden. Der gute Schächter ist an dem kleinen Engel auf dem Kreuz erkennbar, der seine Seele in Empfang nimmt. Nicht mehr erhalten dagegen ist der Teufel des bösen Schächters. 

Das Kunstwerk wurde vermutlich in der Zeit um 1500 geschaffen. Es bildet die letzte Station eines Kreuzweges, der an der Domkirche seinen Anfang genommen hat. Solche Kreuzwege waren im Mittelalter weit verbreitet. Da kaum jemand die Originalschauplätze im Morgenland besuchen konnte, erschuf man pragmatisch die Strecke des Leidenswegs vor der Haustür der Menschen im Abendland. Nach den vermuteten Abmessungen des Weges, den Christus vom Hause des Pilatus bis zum Kalvarienberg gegangen war, wurde dieser auf hiesigem Gebiet angelegt. An den Stellen der Wegstrecke, an denen Christus unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen war, richtete man Stationen zur Andacht ein. Bis zur Reformation zogen die Prozessionen der Wallfahrer in Hamburg vom Dom aus den Passionsweg entlang zum Siechenhaus St. Georg. Dort standen die Kranken in langen weißen Gewändern und hielten den Wallfahrern an einem Stock einen Beutel mit der Bitte um Almosen hin. Die erste Station befand sich vermutlich am Ende des Speersort, die zweite am Spitalertor. Wie diese Stationen ausgesehen haben, ist leider nicht überliefert.


Text: Joachim Frank