Interview mit Bugenhagen

* 1485  † 1558

Er war einer der wichtigsten Köpfe der Reformation in Norddeutschland.

Johannes Bugenhagen am Mikrophon, Montage,  kolorierter Kupferstich nach einem Gemälde von Lucas Cranach, 1543. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, Inv.-Nr. 720-1/215 Bu 263)Johannes Bugenhagen, genannt Dr. Pomeranus, erläutert im Interview mit Knut von Maydell seinen Weg als Theologe und Reformator. Ausdrücklich lobt Bugenhagen das Hamburger Format der Reformation, die  ohne Tumult und Bildersturm auskam. Eine journalistische Zeitreise – ermöglicht durch die Montage und teilweise Übersetzung von O-Tönen aus Bugenhagens Kirchenordnungen, seinen Briefen und verschiedenen anderen Schriften.

Frage: Verehrter Doktor Bugenhagen, Sie stammen aus Pommern und haben mit kaum zwanzig Jahren dort in Treptow die Leitung der Ratsschule übernommen, die dank ihrem Wirken als Rektor beträchtlich an Ansehen gewann. Sie haben damals auch schon die Auslegung biblischer Schriften in den Unterricht integriert, wurden sogar zum Lektor für Bibelauslegung und Theologie am Kloster Belbuck berufen und verfassten obendrein 1518 die erste Landesgeschichte Pommerns. Dennoch haben sie 1521 nach siebzehn Dienstjahren ihre gesicherte Position in Treptow verlassen, um noch einmal ganz von vorne anzufangen. Und das alles unter dem Eindruck einer einzigen Schrift Martin Luthers. Was hat sie an Luther so fasziniert?

Bugenhagen: Die ganze Welt liegt in äußerster Blindheit, aber dieser Mann allein sieht die Wahrheit. Deshalb denke ich über Martin Luther nicht schlecht, da er ja beinahe alles aus der Heiligen Schrift abgeleitet, auf deren Worte ich allein geschworen habe.

Sie sind mit 36 Jahren nach Wittenberg gegangen, um bei Luther reformatorische Theologie zu studieren. Dort nahm Sie zunächst dessen Mitarbeiter Philipp Melanchthon auf, der später einmal Ihr erster Biograph werden sollte und der Sie einmal einen „bäurischen Pommer“ genannt hat. Von Luther haben Sie alsbald Ihren Spitznamen „Doktor Pomer“ oder „Pomeranus“ erhalten, unter dem Sie heute bekannt sind. Ihre Freundschaft mit Luther gilt als sehr eng, Sie waren sogar sein Seelsorger und haben bei ihm gewohnt, als der Ausbruch der Pest Sie in Wittenberg bedrohte. Wie sehen Sie sich im Verhältnis zu ihm und zu Melanchthon? Ist Luther für Sie der Prophet der Reformation?

Bugenhagen: Propheten sind die, welche so predigen wie Martin und so lehren wie Philipp, ich aber folge in weitem Abstand als ein Interpret dessen, was ich bei den Propheten finde, soweit mir solches durch Gott gewährt wird.

Als Interpret der heiligen Schrift haben Sie sich in der Tat schon vor Ihrer Wittenberger Zeit einen Namen gemacht. Ihre Fusion der Passion- und Ostergeschichten der vier Evangelisten zu einer Harmonie hat ihr Ansehen als Theologe endgültig gefestigt. Und nach dem großen Erfolg Ihrer Vorlesungen zur Auslegung der Psalmen in Wittenberg war es nur folgerichtig, dass Sie dort schließlich zum Stadtpfarrer gewählt wurden, als diese Stelle 1523 neu zu besetzen war. Sie waren aber auch bald berüchtigt für überlange Predigten, nicht zuletzt bei Luther selbst, der einmal gespottet haben soll: „Jeder Oberpriester muss seine besonderen Opfer haben. Also opfert Pomeranus mit seinen langen Predigten seine Hörer.“ Es schien also, als wären Sie mit Predigt und Exegese ganz in Ihrem Element. Dennoch ergab sich nach fünf Jahren erneut eine Wende, nämlich zur Praxis, zur Einführung der Reformation in Braunschweig. Wie wir wissen, hat sich ein Christ nach Luthers Lehre, die auch Sie vertreten, nicht durch gute Werke wie Almosen geben oder Bussgänge vor Gott zu rechtfertigen. Aber wie stellt sich für Sie dann das Verhältnis von Glauben und guten Werken dar? Sind Sie der Ansicht …

Bugenhagen: … dass dem Glaubenden keine Gesetze nötig sind, damit er gute Werke tue. Denn er wird sein, sagt der Psalmist (Ps. 1,3a), wie ein Baum. Das heisst, er bringt von selbst die Frucht guter Werke hervor, nicht nach den Vorschriften der Menschen oder nach dem freien menschlichen Willen, sondern zu seiner Zeit, das heisst, wenn Gott Gelegenheit gibt, dem Bruder zu dienen, sei es in zeitlichen oder geistlichen Dingen.

Der christiliche Glaube findet also gleichsam organisch in guten Taten seinen Ausdruck?

Bugenhagen: Wenn wir Christen sein wollen, so müssen wir das ja mit den Früchten beweisen. Es gibt keinen, der nicht behauptet, er habe den rechten Glauben. Dennoch handeln viele so, dass nirgendwo ihr Glaube offenbar wird.

Sie haben 1528 die Reformation in der Stadt Braunschweig eingeführt, ein Jahr später in Hamburg und in den folgenden Jahren auch in Lübeck, in Ihrer Heimat Pommern, in Dänemark, in Holstein, im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und in Hildesheim. Man darf Sie also mit Recht als den Reformator des Nordens bezeichnen. Für diese Städte und Regionen haben Sie Kirchenordnungen schriftlich ausgearbeitet. Was sind für Sie die gestalterischen Schwerpunkte einer solchen Kirchenordnung?

Bugenhagen: Vor allem sind drei Dinge als nötig anzusehen. Das erste ist, gute Schulen aufzurichten für die Kinder. Das andere ist, Prediger anzunehmen, die Gottes Wort dem Volke rein vortragen, auch lateinische Lektionen und Auslegung der Heiligen Schrift für die Gelehrten zu verschaffen. Das dritte ist, einen Gemeindekasten einzurichten mit Kirchengütern und anderen Gaben, woraus solche und andere Kirchendienste erhalten und der Notdurft der Armen geholfen werden kann.

Können Sie letzteres noch konkretisieren?

Bugenhagen: In jeder Pfarrkirche soll sichtbar ein Kasten für die Armen stehen. Da hinein sollen alle freiwilligen Opfer kommen, die man das ganze Jahr über feiertags oder werktags hineingeben will. Die Gelder aus diesen Kasten soll man, aus allen Pfarrkirchen, am Sonnabend zusammentragen, als Beihilfe für die Spende, die dann durch die Armendiakonen verteilt wird.

Aller Notdurft Leibes und der Seelen unserer Brüder, sie seien reich oder arm, sollen wir, soviel an uns ist, ihnen zum Trost uns gern annehmen. Aber hier reden wir nun nur von der Notdurft der armen Leute, die kein Geld haben und deshalb mancherlei Not leiden müssen. Gegen diese sind vor allem die Reichen schuldig. Dazu sind auch schuldig alle Handwerker und Arbeiter, denen Gott Glück gibt, dass sie sich mit ihrer Hände Arbeit wohl ernähren können.

Die Einführung der Reformation ist eine Aufgabe, bei der mit Widerstand und Reibereien mit altgläubigen Kirchenvorständen zu rechnen ist. Doch Sie haben sich hierbei auch als geschickter Kirchenpolitiker bewährt, indem sie auf regionale Traditionen Rücksicht genommen haben. Besonders friedlich scheint die Reformation in Hamburg verlaufen zu sein. Wie sind Ihre Erinnerungen daran?

Bugenhagen: In dieser guten Stadt Hamburg sind in dieser Zeit zwischen dem Ehrbaren Rat und den Bürgern einige Sachen verhandelt worden, die das gemeine Beste in zeitlichen Dingen und weltlichen Angelegenheiten betreffen, bei denen sie sich durch Gottes Gnade zuletzt auch gütlich und freundlich, mit aller gegenseitigen Achtung geeinigt haben. Gott sei gelobt durch Jesum Christum, unsern Herrn, dass hier von Anfang an bis zur vertraglichen Einigung nichts anderes begehrt worden ist, als dass man hier das reine Wort und das lautere Evangelium Christi frei predigen könnte, das zwar mit der ganzen heiligen Schrift zuvor vorhanden war, doch durch Menschenlehren und falschen Glauben auf Grund mannigfacher, von Menschen erdachten Gerechtigkeit so verdunkelt und unkenntlich war, dass die Menschen nicht wussten, was sie glaubten; und die Prediger wussten nicht, was sie lehrten (…)

Gab es denn wirklich keinerlei Schwierigkeiten?

Bugenhagen: Harte Worte sind gewiss von beiden Seiten gefallen, weil auch Fleisch und Blut mitsprachen. Dennoch hat es Gott durch fromme verständige Leute auf allen Seiten so gefügt, dass solchen auch nachgesehen, vergeben und mit Handschlag öffentlich und aufrichtig so ausgesöhnt wurde, dass man dessen niemals wieder im Bösen gedenken will, vielmehr für diese gute Stadt nur erstreben, was recht, redlich und christlich ist zum Frieden und zur Seligkeit jetzt und in aller Zukunft.

Dabei waren die Missstände unter den Hamburger Geistlichen doch besonders arg gewesen. Auch von den Mönchen und Klöstern hörte man Bedenkliches.

Bugenhagen: Von keinem Pfaffen (...) will man es dulden, dass sie öffentlich das Evangelium Christi und die Gnade Gottes lästern oder auch weiterhin ein liederliches Leben führen, wie viele ohne Scham zu einem schlechten Beispiel getan haben.  Das Klostervolk hat es auch sehr gut gelernt, allerdings, damit man nicht so dahinter kommen sollte, gelobten sie Armut und hatten doch, dem Fleische nach, ein ruhigeres Leben als ein Fürst auf Erden.

Aber es gab auch noch andere Probleme wie etwa der Brauch der Heiligenverehrung in den Kirchen. Wie ist Ihre Position dazu?

Bugenhagen: Vielerlei Dinge nennt man Zeremonien. Aber sieh es dir bei Licht an, dann wirst du merken, dass manche Dinge darunter nicht mehr als unnützes Gehabe sind, Puppenspiel und müßiges Leben, manche auch grobe Lästerung Gottes, jedoch in einer prächtigen Aufmachung. Von den Engeln lesen wir, dass sie bei uns sind, nicht von den Heiligen, die aus diesem Leben abgeschieden sind. Im Himmel ist niemand, den du anrufen und bitten sollst, außer Gott allein. Lass Gott Gott bleiben und die Heiligen auch Heilige bleiben. Mach aus ihnen keinen Gott, du erweist ihnen keinen Dienst damit.

Und wie sind Sie mit Bildwerken verfahren, wie ist Ihre Einstellung zur Bilderstürmerei?

Bugenhagen: Wir geben (…) zu, dass wir in unseren Kirchen viele Lügenbilder und viele unnütze Klötze haben. Damit wir jedoch nicht zu Bilderstürmern werden und andere Leute (…) dies nicht für Anstoß erregend ansehen, wollen wir mit ordentlicher Gewalt und obrigkeitlicher Macht die Bilder beseitigen, bei und vor denen besondere Anbetung und Abgötterei und besondere Verehrung durch Kerzen und Leuchter stattfinden. Alle übrigen, die in der Kirche nicht stören, lassen wir bestehen.

Ihren Äußerungen entnehmen wir, dass Ihnen in jedem Fall ein friedlicher Verlauf bei der Einführung der Reformation angelegen ist und Sie Aufruhr um jeden Preis vermeiden möchten.

Bugenhagen: Christus wollte nicht, dass ein Aufruhr angezettelt würde, den er sehr oft gefürchtet hatte. Er ging fort, als sie ihn nach Joh. 6,15 zum König machen wollten, was Pilatus, Herodes und andere des Kaisers wegen nicht gelitten hätten. Deshalb ging er fort. Er wollte nämlich nicht, dass man sich Christi Namen um die Köpfe schlägt. Unsere Schwärmer wollen das Wort Gottes mit dem Schwert verteidigen, aber es ist mächtig genug, es kann sich selbst schützen.

Verehrter Doktor Pomeranus, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!


Text: Knut von Maydell

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