Kein Bildersturm aber eine neue Kunst

Nachdem es von den Hamburger Kanzeln herab wiederholt zu verbalen Attacken zwischen Anhängern und Gegnern der Reformation gekommen war, versuchte der Rat der Stadt am 29. Dezember 1526 durch eine aus sechs Artikeln bestehende Verlautbarung die Lage zu beruhigen und das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen.

Im fünften Artikel steht die Mahnung „mit Sanftmütigkeit den gemeinen Mann zu belehren, sich nicht mit Gewalt gegen die Zeremonien der Kirchen, die Heiligenbilder und den Dienst der Kirche zu wenden, sondern dabei still zu halten, bis zur Zeit, daß es Gott vom Himmel belieben werde, dem Tun sein Maß zu geben.“

Dass der Rat explizit die Heiligenbilder in den Kirchen in Schutz nahm, hatte seinen Grund. Nicht wenige Reformatoren im 16. Jahrhundert  forderten die Entfernung jeglicher Kunstwerke aus den Kirche oder sogar deren Zerstörung. Sie bezogen sich auf  das Bilderverbot aus dem Zweiten Buch Moses,  wandten sich aber auch gegen die verbreitete Glaubenspraxis, Bildern Heil- und Wunderkräfte zuzuschreiben. Ihre Radikalität richteten sich zudem gegen den Missbrauch im Umgang mit den Bildern, gegen die grauenhaften Bilder der Hölle mit garstigen Teufeln, brutal gequälten Menschen, mit brodelnden Kesseln und schauderhaften Wesen. Sie führen von Christus weg und gefährden damit das Heil der Menschen – so ein immer wieder angeführtes theologisches Argument. Darum der Bildersturm – radikal gegen alle Kunstwerke, und zugleich verstanden auch als Befreiung von falschen Bindungen, als Suche nach einer neuen religiösen Identität, die sich einzig am gepredigten Wort Gottes orientiert.

Der Zürcher Reformator und Bilderstürmer Klaus Hottinger stürzt 1523 ein Wegkreuz. Aus: Heinrich Thomann: Kopienband zur zürcherischen Kirchen- und Reformationsgeschichte. (Quelle: Wikipedia)


Martin Luther hielt solchen Eifer für falsch.

Er war der Auffassung, dass das Denken und Reden in Bildern zur Natur des Menschen gehört. Bilder können nach seiner Auffassung den Menschen im Glauben voranbringen und zu Christus führen. Solche „guten Bilder“, die das Evangelium veranschaulichen, kann es in der Kirche durchaus geben, weil es sie in uns gibt.

Die Mahnung des Hamburger Rates wurde während und nach der Einführung der Reformation weitgehend beachtet. Einen Bildersturm wie in anderen Gegenden Deutschlands oder in den Niederlanden hat es in der Stadt nicht gegeben.

Allerdings haben die Veränderungen in der kirchlichen und der Ordnung der Gottesdienste nach Einführung der Reformation dazu geführt, dass eine Vielzahl von sakralen Kunstwerken verloren ging.

Silbernes Altargerät wurde eingeschmolzen. Es wurde nicht mehr benötigt, weil die Anzahl der Messen reduziert und entsprechend lutherischer Lehre nur ein Altar für die Feier des heiligen Abendmahls verwendet wurde. Gleiches gilt für Heiligenfiguren aus Silber und Gold und manche Exotika, wie ein in Silber gefasstes Straußenei aus St. Katharinen. Umgekehrt wurden neue Kelche und Weinkannen für das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auch für die Gemeinde angeschafft.

Innenansicht der St. Katharinenkirche, Foto nach Handzeichnung von Jess Bundsen, 1812. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, Inv.-Nr. 131-5=06/175)Der Einbau von Gestühl führte zum Abbau mancher Seitenaltäre und zur Entfernung der dazugehörigen Bildtafeln. Andererseits begann man schon bald nach der Reformation mit der Restaurierung von Kunstwerken in den Hamburger Kirchen, wie die Rechnungsbücher belegen. Außerdem stifteten Bürger den Kirchen schon seit den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts neue Kunstwerke, zumeist Epitaphien mit biblischen Szenen. 

Die lutherische Reformation hat den Bildern jeden sakralen Wert abgesprochen und  sie damit säkularisiert, weil sie – so der Hamburger Theologe Traugott Koch – den Glauben als einen inneren Ort lehrt.

Kunst in den Kirchen hat fortan zwei Zielrichtungen: Sie ist Zierrat, um die Kirche zu schmücken. Als Zierrat gehören Bilder nach lutherischem Verständnis zu den „Mitteldingen“ (Adiaphora), die in der Kirche sein können, aber nicht sein müssen. Daneben haben sie aber den durchaus wichtigen Wert, die Gemeinden zu belehren, zu unterweisen und zu erbauen. So werden für eine Reihe von Hamburger Kirchen in der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts Illustrationen biblischer Geschichten geschaffen, die wie die mittelalterliche biblia pauperum, die Armenbibel, zum Unterricht der Gemeinde gedacht sind. Wenn nun auch die Bibel auf Deutsch und im Druckverfahren massenhaft hergestellt werden konnte, so fehlte es den Massen doch lange noch an der Fähigkeit, sie auch tatsächlich zu lesen. Das Lesen der Bilder fiel nicht schwer. An ihnen wurden die biblischen Geschichten erkannt, vor ihnen erzählt und mit ihrer Hilfe memoriert.

Der Lukasaltar in der Hauptkirche St. Jacobi. (Quelle: Bernhard von Nethen)

Daneben entstanden propagandistische Bilder zur Verbreitung der reformatorischen Lehre.  Martin Luther hat die neuen Medien seiner Zeit ausgiebig genutzt, um die Botschaft der Reformation in reich bebilderten Flugblättern und Postillen zu verbreiten.

Dazu gehören auch die aus dem umfangreichen Wirken der Cranach-Werkstatt hervorgegangenen und immer wieder kopierten Porträts der Reformatoren – besonders Luthers und Melanchthons. Mit dem Bild der beiden Köpfe der Reformation war auch deren Botschaft und die Wahrheit präsent, in den Hauptkirchen ebenso wie in kleinen Dorfkirchen.


Bis ins 18. Jahrhundert bleibt Luthers Bildverständnis für die evangelische Kirche und Theologie weitgehend prägend.

Seit der Aufklärung jedoch sind Kunst und Religion im Protestantismus nur noch schwer zusammenzudenken. Kunst, auch die sakrale,  wird nun insbesondere von den Gebildeten mehr und mehr museal betrachtet. Kirchen mit ihrer Ausstattung sucht man wie eine Art Museum auf,  um sich geistig zu erheben. Solche Erbauung geschieht individuell und persönlich, also unabhängig von irgendeiner objektiven Wahrheit des Glaubens, die im Bild dargestellt ist.

Caspar David Friedrich, Kreuz an der Ostee, 1815, Berlin, Schloss Charlottenburg. (Quelle: The Yorck Project, Directmedia Publishing GmbH, Wikipedia)

Umgekehrt beanspruchen immer mehr Künstler das Recht auf Autonomie ihrer Kunst gegenüber der christlichen Religion und der Kirche. Manche Künstler gehen so weit, für ihre Kunst zu beanspruchen, selbst Offenbarung von Wahrheit zu sein. Dem individuell schauenden und denkenden Menschen wird im Betrachten persönlich die Entscheidung der Deutung eines Bildes und seiner Aussage überlassen.

Klassisch ausgedrückt findet sich das in einem Brief Caspar David Friedrichs an Luise Seidler vom 9. August 1815 über sein Bild „Das Kreuz an der Ostsee“. Er schreibt darin: „Das Bild, für Ihre Freundin bestimmt, ist bereits angelegt, aber es kommt keine Kirche darauf, kein Baum, keine Pflanze, kein Grashalm. Am nackten steinigen Meeresstrande steht hochaufgerichtet das Kreutz, denen, so es sehen, ein Trost, denen, so es nicht sehen, ein Kreutz.“ 


Text: Alexander Röder

nach oben · » Zurück zur Übersicht