Bildungsoffensive

Das Johanneum – „eine gute Schule für die Jugend“ seit der Zeit der Reformation

Schulordnung für die St. Johannisschule von 1732. (Foto: Gelehrtenschule des Johanneums)

Welch hohen Stellenwert Johannes Bugenhagen – und mit ihm die Stadt Hamburg – der Bildung zumaß, lässt sich daraus ablesen, dass in „Der ehrbaren Stadt Hamburg christliche Ordnung“ von 1529 die Kapitel über die Schulbildung denen über die Kirche vorangestellt sind.

So beginnt die Einleitung mit folgendem Satz: „Inn Dusßer Ordeninghe ys angherichtet eyne ghude schole vor de yoget vnnd ghude Predicantenn thom worde gades vor vnns alle…“ – „Mit dieser Ordnung wird Folgendes verfügt: eine gute Schule für die Jugend und gute Prediger des Wortes Gottes für uns alle …“

Schon einige Jahre zuvor waren Hamburger Bürger für eine gute Schulbildung eingetreten: Von 1522 bis 1524 hatte es einen Schulstreit zwischen den Hamburger Bürgern und dem Scholasticus, dem für das Schulwesen zuständigen Domherrn, gegeben, in dem die Bürger die schlechte Qualität der Schulen und Lehrer beklagt und den Anspruch erhoben hatten, eigene Schulen einzurichten. Der Rechts- und Machtstreit endete mit einem Vergleich, der einer Niederlage für den Scholasticus gleichkam, indem nämlich die Rechte an der Nikolaischule den Juraten und Bürgern übertragen wurden. Auch wenn der Schulstreit noch nicht durch reformatorische Gedanken geprägt war, zeigt er doch, dass die Gedanken des reformatorischen Bildungsprogramms auf einen vorbereiteten, fruchtbaren Boden fielen.


Bugenhagendenkmal vor dem Neubau des Johanneums im Hamburger Stadtteil Winterhude. (Foto: Bernhard von Nethen)Für Martin Luther und seine Mitstreiter, allen voran den gelehrten Humanisten Philipp Melanchthon und den erfahrenen Schulmann Johannes Bugenhagen, standen Bildung und Glauben in einem engen Zusammenhang. Denn nach Luther konnte man nur durch das richtige Bibelverständnis zum Glauben gelangen und dazu musste man die Bibel selbst lesen und auslegen können. Allerdings stellte Luther stets auch die Bedeutung von Bildung für weltliche Ämter wie das des Arztes, des Rechtsgelehrten oder Regierenden, mithin für Staat und Gesellschaft heraus.

Als zentral erachteten die Reformatoren die sprachliche Bildung – damit war das Erlernen des Lateinischen, also der Sprache der Kirche und der Wissenschaft, sowie des Griechischen und Hebräischen, der Sprachen der Bibel, gemeint –, aber auch Singen, Musik und Mathematik sollten die Kinder erlernen und Geschichte(n) hören, letzteres, um ihre Urteilsfähigkeit auszubilden und „sich im Lauf der Welt einzurichten mit Gottesfurcht“, wie Martin Luther es 1524 in seiner Schrift ‚An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen’ formulierte. Zudem sprach sich Luther für die Einrichtung von – wohlgemerkt – guten Bibliotheken aus. Auch Mädchen sollten eine, wenn auch nur sehr rudimentäre, Schulbildung erhalten.


Das Schulgebäude des Johanneums im Johanneskloster, Lithographie von Otto Speckter, 1840. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, Inv.-Nr. 131-06=450/1840.06)Diese Grundsätze finden sich auch in den Schulkapiteln von Bugenhagens Christlicher Ordnung für die Stadt Hamburg von 1529 wieder, die am 24. Mai desselben Jahres ihre Umsetzung in der Gründung der St. Johannisschule (heute Gelehrtenschule des Johanneums) in den Räumen des ehemaligen St. Johannisklosters fanden.

Die Schulordnung sah die Einrichtung von fünf Klassen, sogenannten loca vor, die die Jungen je nach ihrem Wissen und Vermögen – also nicht nach Alter – nacheinander durchliefen; deswegen sind die loca auch nicht mit Schuljahren gleichzusetzen. Waren die Jungen zwölf Jahre alt, sprach der Schulleiter mit den Eltern und teilte ihnen mit, ob ihre Söhne begabt genug seien, um weiter auf der Schule zu bleiben. Mit sechzehn Jahren, also am Ende der Schulzeit, beriet der Schulleiter die Schüler dahingehend, einen Beruf zu erlernen oder zu studieren. Die Schule stand übrigens allen Bürgersöhnen offen: Konnte eine Familie das Schulgeld nicht entrichten, hatte aber einen begabten Sohn, wurde dieser unentgeltlich aufgenommen.

Primaner im Klassenraum des Johanneums im Johanneskloster, Lithographie von Otto Speckter, 1840. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, Inv.-Nr. 131-06=450/1840.05)Gelernt wurde von Montag bis Sonnabend, in der Regel vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag, das Singen in den Hauptkirchen eingeschlossen. Nur der Mittwochnachmittag war frei und diente der Erholung der Schüler und Lehrer oder bot Muße für eigene Beschäftigungen. Die meiste Unterrichtszeit wurde auf das Erlernen der lateinischen Sprache verwendet, die die Schüler aktiv beherrschen mussten; erst in der 5. Klasse wurden die elementaren Kenntnisse der Mathematik und des Griechischen sowie die hebräischen Buchstaben gelernt. Der Sonnabend aber war dem Religionsunterricht vorbehalten. Jeden Mittag stand für alle Schüler gemeinsames Singen auf dem Stundenplan; denn jeweils morgens und nachmittags mussten die Schüler in den vier Hauptkirchen St. Petri, St. Nikolai, St. Katharinen und St. Jacobi die Mette und die Vesper singen – nur am Mittwoch waren sie vom Vespersingen befreit –, ebenso am Sonntagmorgen im Gottesdienst. Die Schulordnung schrieb aber nicht nur den Lernstoff fest, sondern gab auch Hinweise zu seiner Vermittlung: Jeden Vormittag bis etwa neun Uhr wurden lateinische Grammatik- und Wortschatzübungen gemacht und jeden Mittwochvormittag wurde der gesamte Lernstoff intensiv wiederholt.

Von den Lehrern – insgesamt gab es sieben: den Rektor, den Subrektor, den Kantor sowie vier Pädagogen – verlangte Bugenhagen, dass sie gelehrt seien und gut mit den Kindern umzugehen wüssten. Selbst der Schulleiter dürfe sich nicht zu schade sein, auch einfache Dinge mit den Kindern zu üben.

Neben der Schule sah Bugenhagen die Einrichtung eines Vorlesungswesens vor, das aber erst 1613 mit der Einweihung des Akademischen Gymnasiums, in dem die Absolventen der St. Johannisschule auf die Universität vorbereitet wurden, verwirklicht wurde. Zu den Gelehrten, die hier lateinische Vorlesungen halten sollten, gehörten auch der Rektor und der Subrektor der St. Johannisschule. Für beides, Schule und Lektorium, erachtete Bugenhagen die Einrichtung einer Bibliothek als notwendig.


Blick in den Innenhof des Johanneums in der St. Johanneskirche, Aquarell von 1751. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, Inv.-Nr. 131-06=450/1862.02)Bugenhagens Schulordnung hat im Verlauf der Jahrhunderte viele Ergänzungen und Veränderungen erfahren. Trotz ihrer historischen Bedingtheit aber muten viele Vorschriften sehr modern an: Die Berücksichtigung der individuellen Begabungen der Schüler, der Wechsel von Lern-, Übungs- und Wiederholungsphasen, die Erkenntnis, dass Lernen nur gelingt, wenn es Erholungspausen gibt, und schließlich, dass gute Lehrer und gute Bücher unabdingbare Voraussetzungen für eine gute Schule sind. Es ist der Hamburger Schulordnung anzumerken, dass sie von einem erfahrenen Schulmann und leidenschaftlichen Lehrer – Johannes Bugenhagen war schon mit 19 Jahren Schulleiter der Stadtschule in Treptow geworden und hatte diese zu höchstem Ruhm geführt – geschrieben worden ist, der einerseits die Bedürfnisse von Kindern im Blick hatte und andererseits um die Bedeutung einer sehr guten Bildung wusste. Übrigens ist auch das reformatorische Bildungsprogramm mit seiner Betonung der Wichtigkeit sprachlicher Bildung hochaktuell: Lese-, Text- und Schreibkompetenz gelten uns heute als Schlüsselkompetenzen für Bildungserfolg. Zudem wurden die Schüler der St. Johannisschule nicht nur intellektuell-kognitiv gebildet, sondern sie sangen auch im Chor und führten im Rahmen des Lateinunterrichts Komödien auf. So gab es also damals schon einen Ansatz zu einer ganzheitlichen Bildung, auch wenn dieser noch nicht als ein bewusster angesehen werden darf; denn Chorsingen und Theaterspiel dienten allein der musikalischen Ausgestaltung der Gottesdienste und dem Einüben des Sprechens auf Latein. Aber immerhin betonen sowohl Luther als auch Bugenhagen verschiedentlich, unter anderem in der Hamburger Schulordnung, dass Kinder ohne Verdruss und mit Freude lernen sollen.

Schneeballschlacht im Schulhof des Johanneums im Johanneskloster, Lithographie von Otto Speckter, 1840. (Quelle: Staatsarchiv Hamburg, Inv.-Nr. 131-06=450/1840.02)Die heutige Gelehrtenschule des Johanneums, untergebracht in einem denkmalgeschützten Bau von Fritz Schumacher in der Maria-Louisen-Straße, steht als altsprachlich-humanistisches Gymnasium in der direkten Nachfolge der von Johannes Bugenhagen gegründeten St. Johannisschule. Eine umfassende und vertiefte sprachlich-literarische Bildung, Musik- und Theaterangebote sowie ein Programm zur Begabtenförderung und eine an den Schülern ausgerichtete Pädagogik sind nach wie vor Schwerpunkte der schulischen Arbeit. Zwar stammt der Buchbestand der historischen Bibliotheca Johannei, die mittlerweile durch ein modernes Medienzentrum erweitert ist, nicht mehr aus der Zeit der Reformation – der Ursprungsbestand ging in die Staatsbibliothek über –, doch findet sich dort ein seit der Neugründung der Bibliothek 1779 auf 55.000 Bände angewachsener, sehenswerter Buchbestand. Die historische Bibliothek wird außer von den Schülern und Lehrern des Johanneums von Wissenschaftlern für Forschungen genutzt und kann darüber hinaus zweimal im Jahr im Rahmen einer öffentlichen Führung von jedermann besichtigt werden. Nähere Informationen zur Gelehrtenschule des Johanneums, ihrer Geschichte, ihrem Bildungsangebot und ihrer Bibliothek finden sich unter
www.johanneum-hamburg.de.


Text: Inken Hose

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