Anna Buring ist reich an Jahren, aber noch sehr viel reicher an irdischen Gütern.
Die Witwe des schon 1499 verstorbenen Bürgermeisters Henning Buring gilt als die reichste Bürgerin der Hansestadt. Als sie 1503 ihr Testament aufsetzt, verfügt sie, dass nahezu ihre gesamte Hinterlassenschaft in Vigilien und Messen investiert werden soll. Und für das hübsche Sümmchen kommen schon einige Messen zusammen, in denen Maria und eine ganze Reihe weiterer Heiliger um Beistand für die arme Seele der Bürgermeisterswitwe angerufen werden können. Aber so schnell stirbt Anna Buring nicht. Daher erlebt sie die ganzen Umwälzungen des frühen 16. Jahrhunderts in ihrer Heimatstadt mit. Die Mönche und die Priester haben Hamburg verlassen und die lutherischen Pastoren predigen, dass es nicht um „gute Werke“ geht, die im Jenseits sicheren Profit bringen, sondern um den rechten Glauben, aus dem heraus Barmherzigkeit geübt werden soll.
Sechs Jahre nach Einführung von Bugenhagens Kirchenordnung schwant es Anna Buring, dass ihr Testament hoffnungslos veraltet ist. So lässt sie 1535 ihre Rechtsbeistände kommen, annulliert das alte Dokument und setzt ein neues auf. Darin bedenkt sie neben Verwandten und Freunden vor allem Arme und Bedürftige. Sie richtet Armenwohnungen ein, stiftet ein Stipendium zum Studium an einer christlichen Universität und sorgt dafür, dass Kirchen Mittel erhalten, um bauliche Reparaturen vornehmen zu können. Das Testament der reichen alten Dame zeigt beispielhaft, wie sich die Einstellung der Menschen mit Einführung der Reformation geändert hat: Nicht mit guten Werken, sondern durch den Glauben an die Gnade Gottes ist das Seelenheil zu erlangen. Gute Werke lassen sich nicht „abrechnen“, sind aber ein Gebot aber christlichen Nächstenliebe.
Text: Matthias Gretzschel