Wittenberg und Hamburg auf einem Bild

  • Auf dem Epitaph sind im Hintergrund Hamburgs Kirchtürme zu sehen, „Auferweckung des Jünglings zu Nain", Peter Spitzer und Lucas Cranach d.J. –Werkstatt, 1565. (Quelle: Wikipedia)

Beim Trauerzug im Vordergrund handelt es sich auf den ersten Blick um die Wiedergabe der biblischen Szene, die im siebenten Kapitel des Lukasevangeliums geschildert wird: „Als er aber nahe an das Stadttor kam, da trug man einen Toten heraus, der ein einiger Sohn war seiner Mutter; und sie war eine Witwe, und viel Volks aus der Stadt ging mit ihr.“

So beginnt die Geschichte des „Jünglings von Nain“, den Jesus auferweckt. Das von Peter Spitzer und Lucas Cranach dem Jüngeren 1565 geschaffene Gemälde, stellt zugleich einen anderen Trauerzug dar, der die Menschen in Wittenberg erschüttert hatte: Im Alter von nur 21 Jahren war am 1. Januar 1565 der aus Hamburg stammende Student Franciscus Oldenhorst verstorben. Wie in der biblischen Geschichte war auch er der einzige Sohn seiner Mutter, die zuvor bereits ihren Mann verloren hatte.

Da die Stadt zu dieser Zeit keine eigene Universität unterhielt, studierten die jungen Hamburger zunächst oft an der Rostocker Uni. Nach der Reformation aber zog es viele an die Leucorea, die renommierte Alma Mater von Wittenberg. Dort war Oldenhorst bei Magister Heinrich Moller untergekommen, dem Bruder seines Schwagers. Heinrich Moller stammte ebenfalls aus Hamburg und lehrte in Wittenberg Hebraistik. Der Schwager Oldenhorsts hieß Johannes Moller und war Domherr in Hamburg. Er war es, der das Gemälde bei Cranach in Auftrag gab.

Hinter dem  Wittenberger Stadttor ragen neben Bürgerhäusern die Doppeltürme der Stadtkirche auf. Das Gebäude der alten Universität und der Turm der Schlosskirche in den Renaissanceformen des 16. Jahrhunderts komplettieren die Stadtansicht.

Jenseits der Elbe erhebt sich  eine große Stadt mit Wällen, Mauern und aufragenden Kirchtürmen, die sich bei genauerer Betrachtung als eine Darstellung der Hamburger Elbseite vom Steintor bis zum Niederhafen identifizieren läßt. Das heute in der Wittenberger Stadtkirche aufbewahrte Gemälde vereint somit verdichtet den Geburts- und den Sterbeort des Hamburger Studenten, an dessen Schicksal es erinnert.


Text: Matthias Gretzschel

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