Aus alt mach' neu

 

Schulen für alle. Bürger, die mitreden. Fürsorge für Menschen in Not. Freiheit im Glauben, Denken und Handeln: Die Reformation hat auch Hamburg geprägt. Wo sie heute noch drinsteckt.

Denkmal von Johannes Bugenhagen vor dem Johanneum, das 1529 von ihm gegründet wurde. Damit ist es das älteste Gymnasium Hamburgs. (Foto: Bernhard von Nethen)

Auf dem Weg zur Demokratie

Luthers Freund Johannes Bugenhagen formulierte 1529 eine Kirchenordnung für Hamburg. Sie bestimmte nicht nur die kirchlichen Angelegenheiten nach reformatorischen Grundsätzen, sondern sie war zugleich auch die Verfassungsgrundlage für die Stadt. Die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwesen wurde geweckt und gestärkt. „Bürgerkollegien“ und der Rat bestimmten über Gesetzesvorhaben. Dass diese Verfassungskontrolle das Gemeinwesen stabilisierte, wurde so in Hamburg erstmalig unter Beweis gestellt. Sie beruhte auf Luthers Idee für die Trennung von Staat und Kirche. Ein Weg begann, der zum demokratischen Rechtsstaat führte. 


Bildung

Luther sah Bildung als elementares Grundrecht von Frauen und Männern. Er war überzeugt: Bildung befähigt den Menschen, sich ein eigenes Urteil über den Glauben und das Leben zu bilden. Viele neue Schulen entstanden, darunter das Johanneum. Die „Gelehrtenschule“ wurde 1529 von Johannes Bugenhagen gegründet und hat ihren Sitz an der Marie-Louisen-Straße in Winterhude.

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Berufung

Unser Berufsverständnis ist bis heute von Luther geprägt. Nicht nur die Geistlichen und Ordensleute, sondern jeder Christ hat eine Berufung – oder, wie Luther sich ausdrückt, einen Beruf. Damit sind weltliche Berufe den geistlichen gleichgestellt. Das bedeutet auch, dass jeder Beruf seine Würde hat. Und keiner mehr oder weniger wert ist.

Die Stiftung Das Rauhe Haus ist eine der bekanntesten diakonischen Einrichtungen in Deutschland. Gegründet wurde sie 1833 von Johann Hinrich Wichern, dem großen evangelischen Sozialreformer. Auch Diakone und Altenpfleger werden hier ausgebildet.  © Gisela Köhler


Mach-mit!-Kirche

Die evangelische Kirche ist eine ‚Mach mit!’-Kirche. In ihr gelten Grundsätze der Mitverantwortung und Beteiligung. Alle getauften Mitglieder in den 171 Kirchengemeinden in und um Hamburg sind aufgerufen, das Gemeindeleben und den Glauben mit zu gestalten. Sie wählen ihre Gremien vor Ort, die Kirchengemeinderäte. Dieses Prinzip setzt sich über die Synoden (Parlamente) der beiden Hamburger Kirchenkreise fort bis zur Landessynode der Nordkirche. Die Ämter in der Kirche sind nicht mehr hierarchisch sondern funktional geordnet. Die Gemeinde entscheidet, wer welches Amt und welche Aufgabe übernimmt. Ein Pastor oder eine Pastorin wird nicht mehr in einen höheren Stand geweiht, sondern zum Pfarrdienst beauftragt, sprich „ordiniert“.


Gleiche Rechte

Luther entwickelte erste Ansätze für die Gleichberechtigung von Mann und Frau: Durch die Taufe sind alle Menschen Gottes Kinder und „eins in Christus“, wie es in der Bibel heißt. Diese Grunderkenntnis führt nicht nur zu einer Gleichstellung von Laien und Pastoren, sondern auch zu der von Mann und Frau. Zwar sollte es noch ein langer Weg bis hin zur Ordinierung von Frauen in der Kirche sein. Aber Hamburg darf immerhin darauf verweisen, mit Maria Jepsen die erste lutherische Bischöfin der Welt berufen zu haben.


Die große Freiheit

Luther vertrat die Idee von der Freiheit im Glauben. Jeder Christ ist seinem Gewissen verpflichtet: Andere können dir nicht vorschreiben, wie du zu denken hast. Das gilt bis heute. Der Protestantismus setzt auf die aktive Beteiligung seiner Mitglieder. Und sie reagiert darauf, was die Menschen in unserer Gesellschaft bewegt. Dahinter steht die Überzeugung, dass sich die christliche Botschaft zu jeder Zeit neu bewahrheiten und bewähren wird.

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Alles im Kasten

Mit einem kleinen Kasten nahm vor rund 500 Jahren das Hamburger Sozialwesen seinen Anfang. Armut plagte jeden siebten der 20.000 Einwohner der Stadt. Um diesen Menschen zu helfen, stellten Gemeinden „Gotteskästen“ in den Kirchen auf. Wer das nötige Kleingeld hatte, spendete. Vorreiter war 1527 das Kirchspiel von St. Nikolai. Die anderen zogen bald nach. Über die gleichmäßige Verteilung der Spendengelder wachten in jedem Kirchspiel Diakone – unter Leitung der ältesten drei, der Oberalten. In der „Oberaltenallee“, die parallel zur Hamburger Straße verläuft, spiegelt sich diese Zeit bis heute wider. 1528 hatte Bugenhagen die Idee, einen zentralen Gotteskasten aufzustellen. Mit dem gespendeten Geld wurden die Hospitäler finanziert. Das System war Vorläufer des staatlichen Sozialwesens und auch der Diakonie. Die Evangelische Stiftung Alsterdorf, das Rauhe Haus, die vielen sozialen Einrichtungen – vom Mitternachtsbus über die Beratungsstelle FluchtPunkt bis zu den „hoffnungsorten hamburg“ – gehen auf diesen Impuls der Reformation zurück.

Hamburgs einzig erhaltener Gotteskasten von 1763 steht im Hamburger Michel. Neu war nach der Reformation, dass das in Gotteskästen gesammelte Geld nicht mehr den Geistlichen, sondern den Bedürftigen der Gemeinde zukam. (Foto: Bernhard von Nethen)


„Ein Herz und eine Seele“

Luthers Deutsch wirkt stil- und sprachbildend bis heute. Er hatte die Gabe, sich lebensnah, volkstümlich und bildhaft auszudrücken. Er ersann Ausdrücke wie Feuertaufe, Bluthund und Lückenbüßer. Metaphern wie "Perlen vor die Säue werfen" und "die Zähne zusammenbeißen", gehen ebenso auf ihn zurück wie "im Dunkeln tappen" und "ein Herz und eine Seele". Am bekanntesten ist sein Ausdruck „dem Volk aufs Maul schauen“, der aus seinen „Tischreden“ stammt.


Medial vernetzt

Durch Flugschriften, Tafelbilder und Lieder, die eingängig Nachrichten verbreiteten, waren die Thesen der Reformation allgegenwärtig, auch in und um Hamburg. Wer nicht lesen konnte, hörte sie auf den Straßen und Plätzen. Durch das rege Interesse an Glaubensfragen formte sich erstmals so etwas wie eine multimedial geprägte Öffentlichkeit – vergleichbar mit Fernsehen und Internet heute.

Mehr erfahren: Der Weg zur Medienhauptstadt

In Kürze erstellt und ohne großen Kostenaufwand vertrieben, waren die Flugsblätter ein geeignetes Format zur schnellen Verbreitung reformatorischer Ideen. (Foto: Bernhard von Nethen)


Text: Günter Wasserberg, Sabine Henning

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