Martin Luther (1483 – 1546) steht uns allen als unbeugsamer, kraftstrotzender und urwüchsiger Geistesheld vor dem geistigen Auge. Mit machtvollen Schlägen nagelte er seine 95 Thesen gegen kirchliche Missstände an die Tür der Wittenberger Schlosskirche, übersetzte die Bibel und dichtete viele Kirchenlieder.
Doch wie stand es mit seiner Gesundheit – hinter der Fassade dieses aufreibenden Lebens?
1521 ist Luther 38 Jahre alt. Vier Jahre liegt es zurück, dass er seine Thesen gegen den Ablasshandel publizierte. Von Kaiser Karl V. wird der auf den Reichstag zu Worms zitiert, „der Leren und Buecher halben“. Sorgen muss er sich nicht, denn der Kaiser hat ihm freies Geleit zugesagt.
Am 2. April tritt Luther in einem zweirädrigen Wagen die Reise an. Es wird eine Triumphfahrt. Die Städte begrüßen ihn feierlich mit Delegationen und Geschenken. Alle wollen ihn predigen hören, die Kirchen sind überfüllt.
Sein Freund Spalatin lässt ihm aus Worms eine Warnung zukommen: „Komm nicht!“. Doch Luther antwortet: „Wenn so vil Teuffel zu Wurmbs weren als zigel auf den dechern, noch wollte ich hinein“.
Aber natürlich hat er auch Angst. Er erinnert sich an Jan Hus, den tschechischen Reformator, der trotz Zusicherung freien Geleits 1415 auf dem Konzil zu Konstanz gefangen genommen und bei lebendigem Leibe verbrannt worden war.
Aderlass auf dem Weg nach Worms
Unterwegs, in Eisenach, erkrankt Luther so schwer an einer „gähligen und heftigen“ Krankheit, dass man um sein Leben fürchtet und ihn mit Aderlass traktiert. Zusätzlich quält ihn schwere Obstipation. Völlig entkräftet trifft er – eskortiert von acht Berittenen und nach heutigen Begriffen fast wie ein Popstar – am 16. April in Worms ein.
Bei seiner ersten Vorladung am folgenden Tag bittet er zur Enttäuschung seiner Anhänger um Bedenkzeit. Offenbar fühlt er sich noch nicht wieder stabil genug.
Am nächsten Tag argumentiert er glänzend und lehnt jeden Widerruf seiner Thesen ab. Karl V. verhängt die Reichsacht über den „Ketzer“. Dem Verlangen kirchlicher Vertreter, das freie Geleit für diesen Ketzer zu brechen, kommt der Kaiser jedoch nicht nach.
„Mein arss is bös worden“
Die folgenden zehn Monate Einsamkeit auf der Wartburg sind eine einzige Qual für ihn, unter anderem durch hartnäckige Obstipation. Brief an Melanchthon vom 12. Mai 1521: „Der Herr hat mich im Hintern mit großem Schmerz geschlagen. So hart ist der Stuhlgang, dass ich gezwungen werde, ihn mit großer Kraft bis zum Schweißausbruch herauszustoßen…..Gestern habe ich nach vier Tagen einmal ausgeschieden.“
Und in einem Brief an Nikolaus von Amsdorf findet sich der schöne Satz: “Mein arss ist bös worden.“ Offenbar war es zu schweren Einrissen am After gekommen. Schlaflosigkeit und zeitweilige depressive Verstimmung sind die Folgen: „Ich bin in dieser arbeitsarmen Einöde tausend Teufeln ausgeliefert“.
Nur mit Mühe kann er davon abgehalten werden, nach Erfurt zu reisen, um Hilfe zu suchen – dort herrscht die Pest.
Jagen ist nichts für ihn
Die erzwungene körperliche Untätigkeit und die opulente, aber schlackenarme „junkerliche“ Kost dürften bei dem bis dahin eher asketisch ernährten Luther die Neigung zu Verstopfung und Hämorrhoiden gefördert haben. Diese Beschwerden ist er in seinem ganzen weiteren Leben nicht mehr losgeworden.
Der Schlossherr, der als einziger die wahre Identität von Junker Jörg kennt, versucht ihm durch Reitausflüge und Jagden Abwechslung und Bewegung zu verschaffen. Aber Jagen liegt ihm nicht. „Ich bin aber nicht ein solcher weidmann zu wilte; ich jag den babst, cardinal, bischoff, thumbherrn[1] und monch“, sagt er später in seinen Tischreden.
Allen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen zum Trotz übersetzt er jedoch während des Wartburg-Asyls das Neue Testament ins Deutsche, eine großartige theologische und sprachschöpferische Leistung.
Der erste Schwindelanfall
Fünf Jahre später macht sich eine schon länger bekannte Urolithiasis mit schwersten Koliken bemerkbar, die mit dem Abgang eines großen Harnsteins zunächst enden.
Das Jahr 1527 beginnt mit einem Anfall von Angina pectoris, der den 44Jährigen ernstlich um sein Leben fürchten lässt. Am 6. Juli erleidet Luther den ersten schweren Schwindelanfall mit lauten linksseitigen Ohrgeräuschen, die zunächst als außerhalb und später als innerhalb des Schädels empfunden werden, verbunden mit starker Erschöpfung. Der Schwindel lässt zunächst nach, doch die Ohrgeräusche bleiben in wechselnder Intensität bestehen.
Im Laufe der Zeit tritt einseitige Schwerhörigkeit hinzu. Dieses Geschehen wird heute als Meniére-Krankheit mit der typischen Trias Drehschwindel, Ohrgeräusch und Schwerhörigkeit gedeutet (H. Feldmann 1989; H.-J. Neumann 1995). Sie befällt Luther in den folgenden Jahren immer wieder und hindert ihn tagelang daran zu schreiben, Vorlesungen zu halten und zu predigen.
Lustlos, unfreundlich und produktiv
Auch 1529 während der Marburger Religionsgespräche mit den Schweizer Reformatoren ist er durch dieses Leiden beeinträchtigt und wirkt lustlos und unfreundlich. Er lehnt die kleinsten Zugeständnisse ab, was durchaus folgenreich für die reformatorische Bewegung werden sollte.
Den Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530 verfolgt Luther von April bis Oktober in einem Exil auf der Veste Coburg. Neben einem Offenen Bein (Ulcus cruris) und Zahnschmerzen plagt ihn hier wochenlang „das Sausen und Klingen in den Ohren also, dass mir gleichsam ein Wind aus dem Kopfe ging, blies und sauste, wie ein Hauptfluss“. Für Luther sind diese Anfälle Werke des Satans, der sein Wirken zu behindern versucht. In einem Brief vom 2. Oktober: „Ich acht, es sei der schwarze zoticht Geselle aus der Höllen gewest, der mich in seinem Reich auf Erden nicht wohl leiden mag“.
Dennoch gelingt es ihm, den ganzen Propheten Jeremias aus dem Hebräischen zu übersetzen.
Höllische Schmerzen
Ab 1530 stellen sich zusätzlich Beschwerden ein, die am ehesten als Gichtanfälle zu deuten sind. Deren höllische Schmerzen waren damals kaum zu lindern. 1536, nach zehn Jahren, meldet sich während eines Aufenthalts in Schmalkalden das Nierensteinleiden zurück, das am 26. Februar des folgenden Jahres zu einer dramatischen Harnverhaltung führt.
Eilends organisiert man einen ärztlich begleiteten Rücktransport, und zwar in einem bequemen kurfürstlichen Reisewagen. Durch die dennoch heftigen Erschütterungen auf den holprigen Wegen kommt es zum Steinabgang und in den folgenden Wochen zu allmählicher Erholung.
Im Juli 1538 soll Luther an Ruhr erkrankt sein, von der er sich nur langsam erholt.
Die Krankheiten, die Luther in den verbleibenden Jahren immer wieder begleiteten, sind vor allem der Morbus Meniére und daneben Gichtanfälle sowie Nieren- und Blasenkoliken durch die Urolithiasis. Immer wieder klagt er in Briefen über die viele Zeit, die ihm für seine Arbeit durch das Kranksein verloren gehe.
Doch ringt er seinem gequälten Körper unerbittlich ein gewaltiges Arbeitspensum ab. In den zehn Monaten des von Krankheit geprägten Aufenthalts in Coburg entstehen
- 30 theologische Schriften
- 170 Briefe
- 60 Predigten
- und die erwähnte Jeremias-Übersetzung.
Seine Hochleistungen zermürben ihn
Es ist nicht verwunderlich, dass die unter diesen Umständen erbrachten Hochleistungen Martin Luther seelisch zusetzten und ihn frühzeitig zermürbten. Schon von Natur aus kämpferisch veranlagt und gerne polemisch formulierend, wurde der aufrechte Gottesstreiter mit zunehmendem Alter intolerant, reizbar und schwierig im persönlichen Umgang, auch seinen Freunden gegenüber.
Bei seinen späten Schriften verlor er zuweilen jedes Maß. So tituliert er 1545 in der Kampfschrift „Wider das Bapstum zu Rom vom Teuffel gestifft“ den Papst als „der allerhöllischst Vater“.
Auch die 1543 verfasste unsägliche Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ muss wohl teilweise vor diesem Hintergrund bewertet werden. Denn 1523 hatte Luther mit der Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jüde sei“ sehr differenziert dafür plädiert, den Juden gütlich zu begegnen um viele von ihnen zum neuen Glauben zu bekehren.
Ein sanfter Tod
Im Januar 1546 reist Luther bei winterlichen Temperaturen in Begleitung seiner Söhne nach Eisleben, um einen Erbstreit zwischen den Mansfelder Grafen zu schlichten. Schon auf der Reise dorthin klagt er über Kälte- und Schweregefühl im linken Arm und Engegefühl in der Brust: klassische Zeichen von Angina pectoris.
Am 18. Februar 1546 stirbt Martin Luther in seiner Geburtsstadt Eisleben im Beisein seiner Söhne und Freunde. Deren Schilderung des Geschehens spricht eindeutig für einen Herzinfarkt als Todesursache. Er betet noch aus dem 68. Psalm. Dann soll er friedlich und sanft entschlafen sein.
Prof. Dr. Oswald Müller-Plathe
Ehemals Leitender Arzt im AK Altona